Private Zone 2013
Installation, Essenheimer Kunstverein

2013 feiert der Essenheimer Kunstverein nicht nur sein 25jähriges Bestehen, sondern auch zehn Jahre Kunstforum Essenheim, das heißt, zehn Jahre eigene Ausstellungsräume. Aus diesem Anlass rückt der Kunstverein in diesem Jahr den Ausstellungsraum an sich ins Zentrum der Betrachtung. Unter dem Jahresmotto „Andere Räume“ setzen sich verschiedene Künstler auf unterschiedliche Weise mit der Qualität, der Funktion und dem Potenzial der Räume auseinander. In diesem Rahmen realisiert Erik Schmelz seine erste großen Einzelausstellung.

Erik Schmelz entwickelt für die Räume des Kunstvereins ein Ausstellungskonzept, das sich mit den Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Raum auseinandersetzt und die vor Ort vorhandenen Ressourcen als künstlerische Mittel miteinbezieht. Zwei Fragen sind dabei für ihn wesentlich: Durch was wird dieser Raum definiert und wie wurde er früher genutzt?

2003 bezog der Verein das sogenannte Kunstforum – eine historische Scheune mit einer Ausstellungsfläche von 200 qm auf vier Ebenen, mit seinem Bruchsteinmauerwerk und Holztragwerk alles andere als ein klassischer white cube für die Kunst. Neben Ausstellungen und Filmvorführungen werden die Räume von der Gemeinde auch für Feierlichkeiten und Versammlungen genutzt. Es ist ein Ort, an dem öffentlicher und privater Raum stark miteinander verknüpft sind - neudeutsch ein multifunktionaler Raum. Diese „Raumteilung“ greift Erik Schmelz auf und überführt sie in Echtzeit. Stühle, Leinwand, Tisch und Gläser tauchen gleichzeitig auf und simulieren die Multinutzung, aber nicht ohne deren üblichen Gebrauch infrage zu stellen oder deren Nutzung ad absurdum zu führen.

Der Ausstellungsraum erhält nicht allein durch seine Nutzung einen privat/öffentlichen Charakter, sondern auch durch seine Materialität. Von Holz und Bruchsteinmauerwerk geht eine für Rheinhesssen typische Gemütlichkeit aus, die Erik Schmelz ironisierend mit verschiedenen Bodenbelägen, Tapeten und häuslichem Gerät kontakarierte und bis zur Absurdität steigert. Durch gezielte Einbauten führt er die vorgefundenen Raumsituationen auf ihren vermeintlichen Ursprung zurück oder deutet sie humorvoll um.

Bei allen Eingriffen und Einbauten geht Erik Schmelz mit exakter formaler Präzision vor und entwickelt dabei eine eigene Dramaturgie, indem er den Räumen von unten nach oben eine bestimmte inhaltliche Gewichtung zuweist und diese auch mit der Rezeptionsweise des Betrachters verknüpft. So verdichtet sich die Auseinandersetzung – oben im Dachgeschoss angekommen - zu einem intimen Zwiegespräch mit historischen Fotos und Video. Formal zeichnet Erik Schmelz mit einfachen Rechtecken und Kreisen großflächig über alle Ebenen hinweg und schafft damit vertikale Verbindungen zwischen den einzelnen Geschossen. Erst von oben gesehen fügen sich die einzelnen geometrischen Formen zu einem konstruktivistischen Gesamtbild. Hier trifft, optisch gesehen, russische Avantgarde auf rheinhessische Folklore und legt so manche bauliche und ästhetische Ungereimtheit frei. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Stilen und Funktionen, von Privatem und Öffentlichem ist ein typisches Zeichen unserer Zeit. Sie führt mitunter zu einem großen Durcheinander. Erik Schmelz bringt dieses Phänomen mit Witz und Ironie auf den Punkt und findet hierbei wieder zu einer klaren Ordnung zurück.

Der Kunstverein sieht die Ausstellung „Private Zone“ als ein Experiment. Es spielt mit der Imagination von Raum, verschiebt Grenzen und verunsichert durch Simulation. Das Ausstellungskonzept von Erik Schmelz bietet die Chance, die speziellen Räumlichkeiten des Kunstvereins zu thematisieren, zu reflektieren und damit neu zu erleben.

Dr. Gabriele Rasch,
Vorsitzende Essenheimer Kunstverein – Kunstforum Rheinhessen e.V.

 

Kunst und Verschönerung

Vielleicht ist die Verschönerung der beste Weg, den uneingestandenen Grundlagen des Lebens jene Bedeutung angedeihen zu lassen, mit denen sie sich noch rechtfertigen lassen. Wovon ist hier die Rede? – von dem Nutzvollen wahrscheinlich, das seit jeher dem Sentimentalischen entgegensteht. Verschöner-ung macht ohne Zweifel das unausweichlich Nützliche erträglich. Damit ist Verschönerung nicht nur ein beliebtes Lebenselixier, sondern auch eine Form der Umwegrentabilität, wenn auch eine mit paradoxen Eigenschaften. Verschönerung ist nämlich rentabel genau dann, wenn sie sich als Verschwendung gibt. Sie muss sich als Überschuss zeigen, der auf dem Gewöhnlichen, Notwendigen und Nützlichen ansetzt und sich diesem als Zusatz aufpfropft. Wichtig dabei ist, dass das Schöne über den Vorgang der Aufpfropfung dem Nützlichen jene Berechtigung zurück schenkt, die dieses in Wahrheit kaum mehr besitzt. Kurz gesagt: Schönheit bedeutet einen Mehrwert, der sich anmaßt, für sich stehen zu können. Tatsächlich ist ein Mehrwert kein Wert an sich, sondern nur im Einvernehmen mit einer schon zur Verfügung stehender Bedeutung zu begreifen. Er ist unselbständig. Der Mehrwert hat nur Vermögen durch eines anderen Wertes Bestand. Die Verschönerung will das Gegenteil beweisen.

Der Mehrwert löst sich ab und verselbständigt sich. Vielleicht ließe sich die Geschichte der Kunst seit der Moderne plausibel machen, wenn dieser Punkt betont wird. Schönheit wäre demnach eine lange betriebene Verselbstständigungsinitiative gegenüber der Vorherrschaft des Nützlichen. Dies würde auch zutreffen, wäre da nicht das Faktum, dass sich die Kunst in den letzten hundert Jahren von der Verschönerung gelöst hat. Vielmehr gab sie sich selber einen Nutzen, einen Selbstzweck, einen eigensinnigen Nutzen also, der nicht übertragbar und schon gar herleitbar ist. Der Emanzipationsdrang der Kunst hat vieles ermöglicht - Er hat aber auch dazu geführt, dass sie Schönheit und Verschönerung anderen überlassen hat.

Das Projekt von Erik Schmelz im Kunstverein Essen-heim lässt sich als Studie über diese Abwanderung verstehen. Es verfolgt, – aus dem Blick der Kunst – die Anwendung des Schönen im Bereich des Nützlichen und Privaten, in Bereiche also, die der Kunst seit der Moderne suspekt geworden sind, entweder weil sie zur Vereinnahmung oder zur Verharmlosung führen. Erik Schmelz nimmt das Gebäude des Essenheimer Kunstverein als Ausgangspunkt. Er bearbeitet Architektur und Räume, setzt Akzente an Ecken und Kanten, schafft kleine Einbauten und Nischen. Dazu gehören zum Beispiel Podeste, die er kurzfristig einbaut oder Stühle, die aufgestellt werden. Podeste und Stuhlreihen dienen bekanntlich dazu, Festakte zu zelebrieren. Diese Art ist des
Inventars ist in erster Linie nützlich. Aber es dient auch der Repräsentation, einer herausragenden, bevorzugten Stellung des Redners, d.h. einer Nobilitierung und die ist durchaus auch ästhetisch gemeint. Die Aufwertung zeigt sich in der räumlichen Erhöhung, aber auch in der Aufmerksamkeit, die die Gäste den Rednern auf der Bühne widmen. Im Grunde ist dies dieselbe Aufmerksamkeit, die Künstler für ihre Werke erwarten. Jedoch sind diese Festreden nie Selbstzweck, sondern stets in einem Zusammenhang. Sie dienen zu etwas und darin tarnen sie ihre ästhetische Wirkung. Bilder aber sollen ohne zweiten Zweck betrachtet werden und richtiges Kunsterlebnis– zumindest nach der Vorstellung der Moderne – braucht keine Festansprachen. Nichtsdestoweniger – das wissen wir alle – pflegen gerade Kunsteröffnungen gerne diese Rituale. Die Ansprachen sind die Verschönerung zu etwas, was die Verschönerungen aus ideologischen Gründen abgestreift hat.

Ein anderes Beispiel. Schmelz zeigt zwei rote Dachlatten auf dem Dachgeschoß des Essenheimer Kunstvereins. Sie sind rot gestrichen. An ihren Unterseiten sind sie brüchig und porös. Klar handelt es sich um Fundstücke, die – falls wieder in Gebrauch gesetzt – aufwändiger Restaurierung bedürften. Ihr Zustand steht in deutlichem Kontrast zu den penibel behandelten Latten, die in den tatsächlichen Dachstuhl eingesetzt sind. Es geht hier um den Kontrast zum vorgeblich Schönen. Die Bruchstücke von Schmelz erinnern daran, dass viele Häuser der Gegend renoviert werden, aus einer Nostalgie wohl, etwas herzustellen, was eigentlich nie war. Es war nicht üblich, in Scheunen Wohnräume einzurichten. Heute ist es dies schon. Die heimelige Atmosphäre schräger Wände und frei liegender Dachstühle ist ein Erinnerungskult. Sie folgt einer sentimentalischen Vorstellung einer städtischen Bevölkerung, die sich hier zurückzieht. Mit der Anverwandlung von Elementen bäuerlicher Nutzarchitektur schafft sie sich eine doppelte Genugtuung. Erstens entsteht eine Aufwertung des Gegebenen und Nützlichen, zweitens das wohlige Gefühl, die Lebens- und Arbeitsbedingungen zurück gelassen zu haben, die diese Architekturen hervorgebracht haben. Verschönerung ist die Erinnerung an einen ehemals gegebenen Nutzen: sie bezieht sich nicht auf Existierendes, sondern Gewesenes.

Es gibt noch andere Versatzstücke, die Schmelz in einer Art Mimikry-Technik aufzeigt. Bei vielen seiner Werkstücke bleibt unklar, ob diese Elemente Teil des existierenden Gebäudebestandes sind oder Intervention durch den Künstler. Dazu gehört zum Beispiel ein Stück Tapete im ersten Raum, das sich von der Wand löst. Das Papier ist mit einem zierlichen Ornament versehen und hat etwa die Größe eines Leinwandbildes. Das Spiel mit der Funktion entführt in die Fragen. Auch Vorhänge werden von Schmelz eingesetzt und Teppiche. Es sind Ready-mades, also fertige und wieder verwendete Gebrauchsobjekte, die hier ein Moment der Darstellung in sich tragen. Sie sind Nachahmungen, denn Teppiche, Vorhänge und Tapeten zählen zu den üblichen Ausstattungen von Haushalten. Zugleich sind diese Elemente auch in ästhetischer Hinsicht (sie sind stets säuberlich und geometrisch geschnitten) interessant, und nicht zuletzt Angaben von Besitz. Recht eigentlich handelt es sich um Grenzmarken. Vorhänge schützen vor Licht und Teppiche die darunter liegenden Böden, sie schaffen aber auch Territorialbezirke. Teppiche sind horizontale Markierungen an Böden, Vorhänge Sichtschutz und vertikale Dichtung. Zäune sind ähnliche Objekte. Ursprünglich als Schutz vor unwillkommenen Eindringlingen gedacht, sind sie in den Anlagen der Vororte ebenfalls Besitzmarken. Zäune umgeben Besitz, der als ästhetische Enklave und Eigentum als vollkommen solitär angesehen wird und sich dennoch kaum von dem der Nachbarn unterscheidet. Entscheidend wird im nachbarschaftlichen Wettstreit die Ökonomie der Verschönerung, die nicht nur die Ausstattung, das Gebäude, seine Einfahrt, die Veranda, den Wintergarten und das Mobiliar betrifft, sondern auch die natürlichen Anteile. Nichts verlangt mehr nach ästhetischer Pflege als der Garten.

Um die ästhetische Logik der Aufwertung des Nützlichen, die Mehrwerttheorie der Verschönerung, zu demonstrieren, setzt Schmelz zwei Holzlatten auf ein einmontiertes Stahlgeländer. Die Hölzer sind an den Rändern mit Profilen beschnitten und weisen außerdem in ihrer Form konkave und konvexe Ein-kerbungen auf. Sie gehören zu den Angeboten, die Baumärkte für Veranden, Balkone und Terrassen anbieten. Heimwerker sind angehalten, den massenproduzierten Hölzern einen individuellen Anstrich zu geben, zu beizen oder zu lackieren. Danach wird den stolzen Besitzern das Gefühl gegeben, handwerkliche Arbeit für ihr Eigenheim abgeleistet zu haben. Denn entscheidend für das Wohlfühlen im Wohnraum ist nicht nur die Erinnerung an vorindustrielle Arbeitsformen, sondern ihre teilweise Nachahmung in verträglichem Ausmaß. Schmelz zeigt den Stilkontrast der Elemente, indem er das Lattenpaar vor die Stahlabsperrung aufsetzt. Ähnliches geschieht mit den Teppichen, die er meist quer zur bestehenden Fliesenrasterung einlegt. Teppiche unterscheiden sich in Form und Behandlung kaum von Rasenbeeten, weswegen Schmelz diese Verwechslung an einer Stelle bewusst provoziert. Dass einem dieser Felder in den Ecken ein Abguss eingelassen ist, oder vielmehr eine Imitation eines Abgusses, ist ein ironischer Kommentar zum Nutzen, der sich in das Ästhetische einschleicht. Schmelz gibt durch seinen Eingriff die Gepflogenheiten preis, die sich im Wohnen, Gewohnten und Gewöhnlichen einnisten. Es sind die Aktivitäten der ästhetischen Optimierung, die sich die Verschönerung des Eigenheims an die alte Stelle der Kunst setzen, weil diese dafür nicht mehr zu haben ist. Dabei sind Schmelz‘ Imitationen des Häuslichen nicht nur Kommentare auf bieder gewordene Lebensformen. Es sind auch Mahnungen an die Kunst selbst, die mit der Verschönerung nicht mehr anders umzugehen vermag als aus ironisch kommentierter Distanz.

Thomas D. Trummer,
Künstlerischer Leiter Kunsthalle Mainz